Die "schöne Madonna" der Eisbacher Marienkapelle. Wege und Umwege der Anwesenheit des Weiblichen.

von Burkard Severin

Wer erstmalig die Eisbacher Kapelle betritt, wird überrascht sein: Der schlichte neoro-manische Kirchenbau aus der zweiten Hälf-te des 19. Jahrhunderts beherbergt einen spätbarocken, im Übergang zum Rokoko gestalteten Hochaltar. Erkundet man diesen Hochaltar genauer, so mag sich der Besu-cher ein zweites Mal die Augen reiben: Im Zentrum des feingliedrigen Blatt- und Ran-kenwerks des spätbarocken Altaraufbaus ist eine in fülligen Faltenwurf gehüllte und mit gekrönter weiblicher Fülle auf die Schönheit der Heilsgeschichte verweisende Altar-Ma-donna eingestellt. Auf ihrem linken Arm trägt sie ein gänzlich unbekleidetes Jesuskind, das dem Betrachter in seinen Händen einen Vogel entgegenhält. Unver-mutet begegnet dem Besucher in dieser unauffälligen Eisbacher Dorf-kapelle eine spätgotische Madonna, die die Fachleute zum Typus der „Mondsichelmadonnen“ zählen und speziell noch einmal als ein Exemplar der Untergruppe der so genannten „schönen Madonnen“ zuordnen.

Versuchen wir angesichts dieser Überraschungen, ein wenig Licht in die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ zu bringen. Wie kommt eine mit aufwendiger Eleganz gefasste spätgotische Madonnendarstellung, deren künstlerische Schöpfung von Fachleuten auf die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert wird, zu einer barocken Altarrahmung, die etwa 300 Jahre später im Spätbarock entstanden ist? Und wie gelangen Hochaltar und Altar-Madonna in eine kleine Dorfkapelle im weitgehend „barockfreien Rheinland“, die ihrerseits erst im Jahr 1870 geweiht und noch einmal 80 Jahre später durch eine Erweiterung in den Jahren 1960/61  zur ihrer jetzigen baulichen Gestalt fand?

Vorläuferinnen

Die erste fotografi-sche Innenansicht der Kapelle, die uns vorliegt, stammt aus dem Jahr 1936. Auf-gesetzt auf eine vier-eckige Stele ziert hier den Altar im gerunde-ten Chorraum eine hölzerne Pieta.

Freunde aus Essen und Oberpleis hatten Peter Buchholz sen. diese Plastik zu seinem silbernen Priesterjubiläum geschenkt. Ihre Spur lässt sich zurückverfolgen bis in die Werkstatt des Essener Klosters der Augustinerchorfrauen, zu dem Peter Buchholz als Strafanstaltspfarrer in Essen von 1926-1941 einen freundschaftlichen Kontakt pflegte. Heute ist diese Pieta in der vorderen Außenwand der Kapelle in einer Mauernische eingelassen.

Mit der Renovierung der Kapelle im Jahr 1949 hielten der spätbarocke Hochaltar sowie eine barocke Madonna Einzug. Als Himmelskönigin trägt Maria hier auf ihrem linken Arm den Welten-herrscher, das Jesuskind mit einer goldenen Weltkugel in seiner rechten Hand. In ihrer rechten Hand hält Maria ein Zepter, das mit der Krone auf ihrem Haupt korrespondiert. Leider ist nicht mehr bekannt, wie Peter Buchholz nach dem Zweiten Weltkrieg an beide Einrichtungsgegenstände

gekommen ist und woher sie stammen.

Doch auch diese Mariendarstellung sollte nur wenige Jahre den Altar schmücken, denn es kündigte sich die „Anwesenheit des Weiblichen“ in neuer Gestalt an – freilich auf Umwegen.

 

Kein leichtes Erbe

Die Spur der „schönen Madonna“, die schlussend-lich in der Eisbacher Kapelle zu deren einhundert-stem Weihetag eine neue Heimat finden sollte, lässt sich zurückverfolgen bis nach Altenschönbach. In diesem kleinen unterfränkischen Ort ca. 30 Kilometer östlich von Würzburg wohnt seit der Mitte des 15. Jahrhunderts im Schloss mit seinem mächtigen Wehrturm die Adelsfamilie derer zu Crailsheim. Über dem Tor des Wohn-baus findet sich das Familienwappen: ein goldener Querbalken auf schwar-zem Schild.

Während seiner Zeit als Gefängnisseelsorger von Plötzensee (1943-1945) hatte Peter Buchholz Angehörige der Maria Amélie Gräfin von Luxburg, geborene Freiin von Crailsheim, betreut, unter anderem deren Bruder Baron Joachim Freiherr von Crails-heim. Die beiden Geschwister besuchte Peter Buchholz nach dem Zweiten Weltkrieg mehrfach. Bei diesen Gelegenheiten erzählte er wohl von „seiner Eisbacher Marienkapelle“ und zeigte, wie sein Neffe (und Namensvetter) Peter Buchholz später berichte-te, augenscheinlich Interesse an einigen Antiquitäten der Gräfin. „Aus Dankbarkeit und Verehrung unseres unvergesslichen Herrn Buchholz“, so Baron Joachim Freiherr von Crailsheim in einem Brief aus dem Jahr 1966 an einen befreundeten ehemaligen Mithäftling, entschloss sich seine Schwester, dem „Seelsorger von Plötzensee“ eine Anzahl ihrer Antiquitäten für die Marienkapelle in Eisbach zu vermachen – insbesondere eine als „frühgotisch“ bezeichnete Strahlenkranzmadonna im damaligen Schätzwert von DM 40.000, die sich in den privaten Gemächern der Gräfin auf Schloss Altenschönbach befand - unten fotographiert im Winter 2009.

Als der zu beerbende Peter Buchholz von einem Testament zu seinen Gunsten erfuhr, das die Gräfin von Luxburg mit Datum vom 28. Oktober 1961 unterzeich-net hatte, müssen wohl zwei Herzen in seiner Brust geschlagen haben: Einer-seits die Freude darüber, dass die Strah-lenkranzmadonna nach dem Willen der Erblasserin tatsächlich nach Eisbach kommen sollte. Und gleichzeitig die Sorge, wie er als Erbnehmer die in die-sem Fall zu entrichtende Erbschaftssteuer in Höhe von damals 17 Prozent des Vermögenswertes hätte bestreiten sollen, was allein für die Madonna einen Betrag von annähernd DM 7.000 bedeutet hätte. Das Testament war zudem formal nicht rechtsgültig, da es weder handschriftlich abgefasst noch notariell beurkundet worden war.

So nahm Peter Buchholz nach Rücksprache mit dem befreundeten damaligen Pfarrer von Oberpleis, Johan-nes Wichert, umgehend Kontakt mit der Gräfin von Lux-burg auf und bat sie um Dreierlei: Die beabsichtigte Erb-schaft auf die Strahlenkranzmadonna zu beschrän-ken (unten ist die „schöne Madonna“ in den Gemäch-ern der Maria Amélie zu sehen), als Erbnehmer statt seiner die „Katholische Pfarrei St. Pankratius, Ober-pleis“ einzuset-zen, da diese infolge ihres Körper-schaftsstatus von der Erschaftssteuerpflicht befreit war, und schließlich das so aktualisierte Testament notariell beurkunden zu lassen. Maria Amélie Gräfin von Luxburg ist diesen Bitten wohl nachgekommen, bevor sich ihr Gesundheitszustand so verschlechterte, dass sie die letzte Zeit ihres irdi-schen Lebens einem gesetzlichen Vormund unterstellt in geistiger Umnach-tung auf einer geschlossenen Abteilung des Luitpoldkrankenhauses in Würzburg verbringen musste.

Das nach ihrem Ableben am 26. Oktober 1965 im Nachlass gefundene rechtsgültige Testament verfügt so unter Ziffer 5.): „An die Kirchengemeinde, zu der die Marien-Kapelle in Eisbach bei Bonn gehört, zur Aufstellung in dieser Kapelle, mit Rücksicht darauf, daß dort zur Zeit Prälat Peter Buchholz, Bonn, Haus-dorffstraße 25, der bekannte frühere Strafanstalts-geistliche in Berlin-Plötzensee, dem ich zu großem Dank verpflichtet bin, amtiert, meine Strahlenkranz-madonna, um 1400, in Origi-nalfassung, in der rech-ten Hand den Stab und auf dem linken Arm das Christuskind tragend, ihre Gesamthöhe 1 m, das kostbarste Stück meiner Sammlung.“ Zweimal hatte somit die Gräfin von Luxburg ihrem Willen un-missverständlich Ausdruck verliehen, dass ihre kostbare Strahlenkranz-madonna in der Eisbacher Kapelle aufgestellt werden sollte. Alles schien klar, so könnte man meinen. Doch es sollte noch fünfzehn bzw. 50 Jahre dauern, bis sich ihr letzter Wille erfüllen würde.

 

Auf Abwegen

Zunächst focht ein Adoptivsohn aus der ersten Ehe ihres Mannes, des 1956 verstorbenen Friedrich Graf von Luxburg, das Testament auf Drängen seiner Frau an. Vor Gericht machte er einen Formfehler im Abfindungsver-trag, mit dem er sein Erbteil nach dem Tod seines Vaters noch zu Lebzei-ten der Gräfin von Luxburg erhalten hatte, geltend, um nunmehr an weitere Besitztümer aus der wertvollen Hinterlassenschaft seiner Stiefmutter zu gelangen. Darüber hinaus meldete auch der Freistaat Bayern als Haupt-erbe der Hinterlassenschaft der Gräfin von Luxburg Besitzansprüche auf die Strahlenkranzmadonna an. Die Finanzdirektion Würzburg, die die Inter-essen des Freistaates in der anhängigen Erbsache vertrat, ersuchte das Diözesanmuseum Würzburg um Unterstützung und bat um eine Begutach-tung der wertvollen Madonna. Anschließend waren sich Landesregierung und Erzbistum Würzburg einig, alles dafür zu tun, die „schöne Madonna“ aus dem Erbe der Gräfin von Luxburg in Würzburg zu halten.

Als der Bruder der Verstorbenen, Baron Joachim Freiherr von Crailsheim, von den Anfechtungen des schwesterlichen Testaments erfährt, beauftragt er einen renommierten Würzburger Rechtsanwalt, für die ordnungsgemäße Vollstreckung des letzten Willens seiner verstorbenen Schwester Sorge zu tragen. Da sein „unvergesslicher Lebensretter“ und Erbe der Strahlenkranz-madonna, der Gefängnisseelsorger von Plötzensee Peter Buchholz, bereits zweieinhalb Jahre vor dem Tod seiner Schwester unerwartet am 4. Mai 1963 verstorben war, wendet er sich nun an dessen Neffen, den ebenfalls aus Eisbach stammenden Aachener Caritasdirektor, der gleichfalls den Na-men Peter Buchholz trägt (der Übersichtlichkeit halber nenne ich ihn im Fortgang Peter Buchholz II). Ihn wie die weiteren „geistlichen Nacherben“ hatte Maria Amélie Gräfin von Luxburg in weiser Voraussicht in ihrem ur-sprünglichen Testamententwurf jeweils als „Verwalter meines Erbgutes an die Marien-Kapelle in Eisbach bei Oberpleis“ eingesetzt.

In seiner Not bittet Baron Joachim Freiherr von Crails-heim am 21. Januar 1966 Peter Buchholz II brieflich, als Sachwalter der Interessen seines verstorbenen Onkels in die Rechtsstreitigkeiten mit dem Adoptiv-sohn seiner verstorbenen Schwester und dem Frei-staat Bayern einzugreifen. Peter Buchholz II, der zu diesem Zeitpunkt das Testament der Gräfin von Lux-burg noch nicht kennt, fürchtet in der Annahme, das er nun das Erbe seines verstorbenen Onkels antreten solle, sowohl die Kos-ten der dann vermeintlich anfallenden Erbschaftssteuer wie auch die fina-nziellen Belastungen der drohenden gerichtlichen Auseinandersetzungen im Erbstreit. Er wartet ab und wird nicht weiter aktiv. Von dieser Reaktion scheint Baron Joachim von Crailsheim enttäuscht zu sein. Dessen unge-achtet lässt er jedoch nicht locker im Bemühen, den letzten Willen seiner Schwester zu erfüllen. In seiner Not nimmt der Baron Kontakt auf zu Victor von Gostomski, einem ehemaligen Mithäftling in Plötzensee, der inzwisch-en ein einflussreicher Verleger und Druckereibesitzer in Weiden (Ober-pfalz) geworden war. Als Häftling war Victor von Gostomski Kirchenkalfak-tor in Plötzensee gewesen. In dieser Aufgabe stand er dem Anstaltsgeist-lichen Peter Buchholz für Hilfsdienste zur persönlichen Verfügung und hat-te in seinem geheimen Tagebuch das Wirken des Gefängnisseelsorgers detailliert festgehalten. Auch ihm wird es ein Anliegen, sich in Dankbarkeit gegenüber dem verstorbenen Peter Buchholz für die Aufstellung der Strah-lenkranzmadonna in der Eisbacher Kapelle einzusetzen. Gemeinsam mit dem in Würzburg beauftragten Anwalt erwirkt er zunächst, dass die Be-zirksfinanzdirektion Würzburg für die laufenden Verfahren zumindest in Er-fahrung bringt, wer bezüglich der Strahlenkranzmadonna gegebenenfalls zur Annahme des Vermächtnisses Gräfin von Luxburg befugt ist.

 

Mit Umwegen

Anfang Februar 1966 wendet sich die Bezirksfinanzdirektion Würzburg schließlich mit der Bitte um Abgabe einer diesbezüglichen Erklärung so-wohl an die Pfarrei St. Pankratius wie auch an Peter Buchholz II. Da sich der Oberpleiser Pfarrer Johannes Wichert seit Monaten mit instabilem Gesundheitszustand im Beueler Krankenhaus aufhält – er war mit dem Neffen Peter Buchholz II ebenso befreundet wie mit dessen Onkel Peter Buchholz I –, können sich die beiden Adressaten der Post aus dem Frei-staat nicht abstimmen. Insofern bittet Peter Buchholz II die Bezirksfinanz-direktion Würzburg am 10. Februar 1966 um eine Kopie des bisherigen Schriftwechsels mit der Pfarrei St. Pankratius in Oberpleis sowie um die Einsichtnahme in das Testament der verstorbenen Gräfin von Luxburg.

Zwischenzeitlich hatte der Anwalt des Adoptivsohnes der Verstorbenen nachgewiesen, dass bei der Abfassung des Abfindungsvertrages tatsäch-lich ein Formfehler unterlaufen war: In der Aufstellung der dem Abfindungs-vertrag zugrunde gelegten Vermögenswerte fehlte ein vergleichsweise geringfügiger Festgeldguthabenbetrag in Höhe von DM 6.000. Da der Ab-findungsvertrag keine salvatorische Formel enthielt, die regelte, dass bei der Fehlerhaftigkeit einzelner Teile des Vertrages die übrigen Vertragsre-gelungen nicht unwirksam werden, müssen nunmehr die Erbansprüche

des Adoptivsohnes neu geregelt werden. In dieser vor allem für den Frei-staat Bayern als Hauptbegünstigten prekären Situation drängt die für die Durchsetzung der bayerischen Erbansprüche zuständige Finanzdirektion Würzburg vor Gericht auf einen Vergleich zwischen dem Freistaat und dem Stiefsohn der Gräfin von Luxburg. Diesen Vergleich sucht der Freistaat frei-lich umfänglich zu seinen Gunsten zu gestalten. So lässt die Finanzdirek-tion Würzburg u. a. mit dem weiterhin bestehenden Interesse, die Strahlen-kranzmadonna in Würzburg zu halten, den Wert der „schönen Madonna“ bewusst niedrig auf DM 12.500 schätzen. Sie erkennt die Pfarrei St. Pan-kratius in Oberpleis, die in Artikel 5.) des Testaments der Gräfin von Lux-burg genannt wird, als nachrangige rechtmäßige Erbin an und macht dieser nunmehr die Offerte, 5/8 des Schätzwertes der Madonna (also gut DM 7.800) auszuzahlen und den Adoptivsohn mit den verbleibenden 3/8 des Schätzwertes abzufinden.

Auf Intervention des Erzbistums Köln, das inzwischen durch Peter Buch-holz II in den Rechtsstreit eingeschaltet worden war und ein ernsthaftes Interesse geltend machte, die Madonna für die Pfarrei Oberpleis zu bean-spruchen, wird im Vergleich der Erbanspruchgeltendmachenden 1967 schlussendlich geregelt, dass die Strahlenkranzmadonna tatsächlich der Pfarrei St. Pankratius zugesprochen wird und dass der Freistaat gegen an-derweitige Kompensationen den vom Adoptivsohn beanspruchten Erbteil in Höhe von 3/8 des zugrunde gelegten Schätzwertes der Strahlenkranzma-donna trägt.

 

bald mehr...

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